Herausragende politische Gestalt: König Mihai von Rumänien tot, articol decembrie 2017
Am 5. Dezember 2017 verschied in seinem Schweizer Domizil in Aubonne König Mihai I. von Rumänien. Er wurde 96 Jahre alt. Bereits ein Jahr zuvor hatte er als Folge einer schweren Erkrankung auf öffentliche Auftritte verzichtet und die Wahrnehmung der Pflichten des Königshauses an seine älteste Tochter Kronprinzessin Margareta delegiert. Mit dem Tod dieser herausragenden politischen Gestalt nicht nur der rumänischen, sondern der europäischen und der Weltgeschichte, geht eine Epoche zu Ende. Die Politikwissenschaftlerin Dr. Anneli Ute Gabanyi, Mitglied des Königlichen Rates, analysiert und würdigt Leben und Wirkung dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit.
„Ein Mensch in meiner Lage hat keine Biografie im eigentlichen Sinne“, sagte König Mihai I. König war der am 25. Oktober 1921 als geborene Mihai von Hohenzollern-Sigmaringen – der Bezug zum Hause Hohenzollern wurde 2011 offiziell aus dem Namen des rumänischen Königshauses getilgt – gleich zweimal: als Kind nach dem Thronverzicht seines Vaters Carol II. und dem Tod seines Großvaters König Ferdinand im Jahre 1927 und 1930, als Carol II. nach Rumänien zurückkehrte, sowie zwischen 1940, als Carol II. zum zweiten Mal abdankte, und 1947, als er selbst unter dem Druck der sowjetischen Besatzer abdanken und Rumänien verlassen musste.
Die Regierungszeit Michaels I. fällt mit der wohl schwierigsten Epoche der rumänischen Geschichte zusammen. 1940, als der achtzehnjährige Michael das Erbe seines Vaters antrat, hatte Rumänien schwere Gebietsverluste hinnehmen müssen. Im Juni desselben Jahres hatte die Sowjetunion, gestützt auf die Vereinbarungen des Hitler-Stalinpakts, Bessarabien besetzt, im August musste Nordsiebenbürgen aufgrund des Zweiten Wiener Schiedsspruchs an Ungarn abgetreten werden. Marschall Ion Antonescu etablierte eine Militärdiktatur, das ursprüngliche Bündnis mit der faschistischen Eisernen Garde wurde nach deren Rebellion im Januar 1941 aufgekündigt. Nach der Besetzung Polens und der Kapitulation Frankreichs gelangte Rumänien zunehmend in den Einflussbereich Hitlerdeutschlands. Gemeinsam mit den Truppen der Wehrmacht beteiligte sich die rumänische Armee im Juni 1941 an dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941.
Vom Angriff auf die Sowjetunion erfuhr der junge König, den Antonescu zu Beginn seiner Regentschaft von den politischen Geschäften des Landes ferngehalten hatte, aus dem Rundfunk. Das änderte sich in dem Maße, als Mihai sich unmittelbaren Einfluss auf das politische Geschehen verschaffte. Angesichts der sich anbahnenden Katastrophe, die eine Besetzung Rumäniens durch die Rote Armee bedeutet hätte, suchte und fand er unter den Vertretern der politischen Parteien, einschließlich der Kommunisten, Verbündete für einen Staatsstreich gegen Marschall Antonescu. Als dieser sich am 23. August 1944, in den Königspalast zitiert, weigerte, sein Hitler gegebenes Treueversprechen zu brechen, ließ König Mihai ihn verhaften und erklärte in einer Botschaft an das rumänische Volk den Wechsel Rumäniens an die Seite der Alliierten. „Der Akt des 23. August fand statt, weil ich verstanden hatte, dass dies der einzige wesentliche Schritt war, durch den die Zerstörung des Landes und unsere Auslöschung aus Staat verhindert werden konnte“, sagte Mihai später. Nach Bombenangriffen der Wehrmacht auf Bukarest erklärte Rumänien Deutschland den Krieg und kämpfte an der Seite der Alliierten unter großen Opfern von Menschen und Material bis zur Beendigung des Krieges.
Am 31. August 1944 proklamierte König Mihai die Rückkehr zur Verfassung von 1923, die durch die Einsetzung der Königsdiktatur Carols II. im Jahre 1938 außer Kraft gesetzt worden war. Infolge der Selbstbefreiung Rumäniens und der Wiedererrichtung der konstitutionellen Monarchie konnte Stalin sein Herrschaftsgebiet nicht unmittelbar nach der Besetzung des Landes in Rumänien etablieren. Im Rahmen seiner Möglichkeiten leistete der König Widerstand gegen die von Moskau unter Zwang, Betrug und Terror initiierten Maßnahmen zur Sowjetisierung des Landes. Zwischen August 1945 und Januar 1946 „streikte“ der König sogar, indem er jede Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern verweigerte. Zugleich protestierte er in Schreiben an die Führungen der westlichen Alliierten USA und Großbritannien gegen das Besatzungsregime der Sowjets in Rumänien. In seinem Memorandum an den amerikanischen Präsidenten vom 24. Januar 1945 protestierte er ausdrücklich auch gegen die Deportation der Deutschen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion, die, so schrieb er, „Teil der realen Existenz der rumänischen Nation sind, der sie in ihrer Gänze verbunden sind“. Seine Enttäuschung über die Haltung der Westmächte, die Rumänien durch das so genannte „Prozentabkommen“ zwischen Churchill und Stalin vom Oktober 1944 der Einflusssphäre der Sowjetunion überantwortet hatten und Stalins Politik der Unterwerfung und Versklavung des Landes ungerührt zusahen, konnte König Mihai – das machte er in zahllosen Interviews, u.a. auch im Gespräch mit der Verfasserin dieses Nachrufs, deutlich – nie verwinden.
Unter Androhung der Erschießung inhaftierter Studenten im Falle seiner Weigerung unterzeichnete König Mihai am 30. Dezember 1947 seine Abdankungsurkunde und ging ins Exil. Es begann eine schwere Zeit für „Monsieur Michel“ bzw. „Mister King“, wie er von Kollegen genannt wurde. Um seine Frau Anna, eine geborene Bourbon-Parma, und seine fünf Töchter zu ernähren, baute er in England Gemüse an und züchtete Hühner, in der Schweiz arbeitete er als Testpilot und in den USA als Versicherungsagent. Seine politische Betätigung wurde nirgendwo gerne gesehen. Dennoch wurde er nicht müde, in Hearings und Memoranden an den Westen zu appellieren, die Unterdrückung der Staaten im Hegemonialbereich Moskaus nicht einfach hinzunehmen. Alljährlich wandte er sich in Weihnachtsansprachen über Radio Freies Europa an die rumänische Bevölkerung.
Handschriftlich „aktualisierte“ Postkarte Seiner Majestät Kronprinz Michael, die ein reichsdeutscher Meldefahrer beim Generalstab der Luftwaffe für Rumänien am 26. Oktober 1940 an eine befreundete Familie in Deutschland schrieb. – Sammlung Konrad KleinMit dem Fall der Ceaușescu-Diktatur in Rumänien am 22. Dezember 1989 hätte theoretisch für den König im Exil eine neue Situation entstehen können. Als sich in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre die finale Krise des Ostblocks abzeichnete, wurde im Westen auch über das so genannte „Moncloa-Modell“ als Vorbild für die osteuropäischen Länder nach einem eventuellen Zusammenbruch des Kommunismus diskutiert. Dabei bedeutete „Moncloa“ den Hinweis auf die Wiedererrichtung der Monarchie in Spanien nach dem Tode Francos im Jahre 1975. Dass es in Rumänien nicht zur Rückkehr zur Monarchie bzw. zur Verfassung von 1923 kommen konnte, dafür sorgten jedoch die neuen Machthaber des Rates der „Front der Nationalen Rettung“, die, gestützt auf die antikommunistische Revolution der Bevölkerung, durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen waren. Noch am 22. Dezember 1989 schafften sie die Institutionen des Ceaușescu-Staates ab, nicht jedoch die Verfassung, die erst am 21. November 1991 durch ein neues Grundgesetz abgelöst wurde. Doch bereits vor den Wahlen vom Mai 1990 verabschiedete der von den neuen starken Männern dominierte „Runde Tisch“ ein neues Wahlgesetz, eigentlich eine Art Vor-Verfassung, in der u.a. die republikanische Staatsform festgelegt und damit der Weg zurück in eine konstitutionelle Monarchie verschlossen war. In der Verfassung von 1991, ebenso wie in ihrer novellierten Variante von 2003, hat die republikanische Staatsform den Rang einer Ewigkeitsklausel.
Ebenso gezielt wie die Rückkehr zur Monarchie verhinderten die neuen Machthaber in den Anfangsjahren auch die physische Rückkehr des Monarchen nach Rumänien. Zwei Mal – im April und im Dezember 1990 – scheiterte die Einreise von König Mihai, dann aber, im April 1992, durfte er erstmals nach Bukarest reisen. Dort wurde er von einer Million Menschen bejubelt. Erst 1997, nach dem Wahlsieg der bürgerlichen Oppositionsparteien, durfte er jederzeit ungehindert nach Rumänien reisen. Staatspräsident Emil Constantinescu verlieh ihm in demselben Jahr die rumänische Staatsbürgerschaft.
In den zwanzig Jahren danach entwickelte sich eine Art Koexistenz sui generis zwischen den gewählten republikanischen Staatsorganen Rumäniens und dem Königshaus. Mit der Zustimmung aller im Parlament vertretenen Parteien und mit der Unterstützung der Regierung bereiste König Mihai im Jahre 1997 die westlichen Staaten mit dem Ziel, Unterstützung für den Beitritt Rumäniens zu EU und NATO zu mobilisieren. Die vertrauensbildende diplomatische Tätigkeit der Mitglieder des Königshauses wird von den Regierenden jeglicher Couleur geschätzt. „Wir brauchen die diplomatische Erfahrung, die Offenheit und das Prestige, dessen sich das Königshaus erfreut“, sagte der ehemalige Premierminister Sorin Grindeanu im März dieses Jahres. In den 2000er Jahren erhielt das Königshaus einen Teil seiner Schlösser zurück, die es dem Staat im Ausgleich für eine monatliche Mietzahlung überlässt. Das Königshaus strebt eine gesetzliche Regelung seiner Stellung innerhalb der Institutionen des Staates an, das entsprechende Gesetz ist jedoch noch nicht in Kraft.
Im Inneren haben König Mihai, die – 2016 verstorbene – Königin Anna und die neue Chefin des Rumänischen Königshauses Margareta durch ihr Auftreten, ihre Meinungsäußerungen sowie durch ihre Stiftungen und Langzeitprojekte im karitativen und künstlerischen Bereich eine konstant hohe Akzeptanz bei der rumänischen Bevölkerung erringen können. Umfragen zufolge waren die Sympathiewerte König Mihais – beispielsweise im Jahre 2012 – mehr als doppelt so hoch waren wie jene des damaligen Staatspräsidenten und des Premierministers. Es ist ihm gelungen, seine Grundwerte – moralische Integrität, historische Identität, Modernisierung und Europäisierung – überzeugend zu leben und zu vermitteln. Diesen Werten fühlt sich auch seine älteste Tochter Margareta verpflichtet. Dass es sich dabei um eine besondere Rolle handelt, daran besteht kein Zweifel. Prinz Radu, ihr Ehemann, schrieb hierzu: „In Rumänien ist tatsächlich das einzigartige Experiment gelungen, dass das Königshaus eine anerkannt günstige Wirkung auf die Gesellschaft ausüben kann, ohne dass hierfür irgend eine verfassungsmäßige Vorgabe existiert. Das geschieht allein auf der Grundlage von Tradition, Respekt, von nationalem und institutionellen Konsens.“ Und Anders Lindgren, ein Berater des schwedischen Königshauses und ebenfalls Mitglied des Königlichen Rates in Rumänien, bemerkte einmal: „In meinem Land ist die Monarchie konstitutionell, in Rumänien ist sie funktionell.“
Anneli Ute Gabanyi